Lässt sich in der menschlichen Existenz ein Grundproblem definieren?
Der 1900 geborene Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja: Er beschreibt die Einsamkeit, das getrennt sein vom Anderen, als das Grundproblem der menschlichen Existenz.
Diese These kann ich aus meiner professionellen und ehrenamtlichen Tätigkeit nur bestätigen. Einsamkeit ist das große Thema, und der Mensch sucht es in der Liebe oder im Glauben, in der Ekstase oder im Drogenkonsum zu überwinden.
Der 1984 in Sri Lanka geborene Senthuran Varatharajah war gerade vier Monate alt, als seine Familie vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland floh. Heute gilt er als Shootingstar der Literaturszene.
In einem allein schon seiner Rhetorik wegen absolut sehenswerten Interview im Rahmen der Sendereihe „Sternstunde Philosophie" des Schweizer Fernsehkanals SRF Kultur widmet er sich unter anderem auch der existenziellen Einsamkeit des Menschen.
Dabei stellt er diese Einsamkeit nicht nur in Bezug auf Liebe, Gemeinschaft und Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf Gott. Und trifft damit wahrscheinlich den Kern des Problems.
Anstatt nun diese Einsamkeit nur als Problem zu sehen, betrachtet Senthuran Varatharajah sie in erster Linie als Seinsmodus des Menschen.
Dazu versucht er, die Einsamkeit aus dem Nichts - jenseits von Dingen, Raum und Zeit - zu verstehen. Zitat: „Wenn wir uns das Nichts nicht nur als die Abwesenheit aller Dinge, sondern als die noch unverwirklichte Fülle aller Dinge vorstellen - so wie es war, als Gott das erste Wort gesprochen hat - dann betrachten wir ein Nichts, in dem alles schon da war, was ist und was einmal geworden sein wird.“
Aus diesem Nichts heraus, so Senthuran Varatharajah, schreibt er seine mehrfach ausgezeichneten Romane. Er begreift die Einsamkeit, die als Seinsmodus aus diesem Nichts herrührt, als Möglichkeit, uns anders in Verbindung zu setzen.
Ist nicht jede mystische Erfahrung verbunden mit der Erfahrung der Abkehr von der Welt? Wir erkennen die Wahrheit der Schöpferkraft, wenn wir uns ein Stück von der Welt entfernen. Erst dann sind wir bereit und fähig, uns mit ihr zu verbinden.
Und Religion stammt ja vom lateinischen Religiare, was sich Rück-verbinden bedeutet.
Aus dieser Verbindung heraus können wir uns dann beispielsweise mit der Polarität unserer Animaliität und Sakralität auseinandersetzen; die Nacht in uns annehmen.
Und sie erlaubt uns auch, so miteinander umzugehen, wie es in der aktuellen Jahreslosung nach Johannes 6.37 geschrieben steht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“
Zum Abschluss des Interviews fasst Senthuran Varatharajah zusammen: „Wenn wir uns jenseits aller Imaginationen und der Mehrheitsgesellschaft, unserer Eltern und der Kultur unseres Landes bewegen, dann sind wir doch alleine. Wir sind vollkommen ausgesetzt in diesem Nichts.
Aber in diesem Nichts können wir anderes finden - indem wir alles vorher verloren haben."