Im letzen Brief ging es um Dein Potential, Licht in diese Welt zu bringen.
Was aber passiert in den Lebensphasen, in denen Dein Licht in Deinen eigenen Tränen unterzugehen droht, in denen es Dir schlicht nicht möglich ist, Licht zu sein, geschweige denn es zu verschenken?
Einer Vortragsreihe mit Eugen Drewermann entnahm ich das bemerkenswerte Zitat:
„Die Weinenden sind die Menschen, die anfangen, wirklich zu leben!“
Das stellt die geläufige Meinung so ziemlich auf den Kopf. Aber bei genauerer Betrachtung stellt es die Weinenden zurück auf die Füße.
Denn diejenigen, die weinen können, erkennen eine Wahrheit über diese Welt. Sie weinen aus Schmerz über eine Welt, die endlich ist, die ohne Leid nicht auskommt. Dieses Leid erleben wir selbst in der Natur und in der Tierwelt auf Schritt und Tritt. Sei es im Fressen und Gefressen werden oder im erbitterten Kampf um die Vormachtstellung bei den Tieren oder ums Licht bei den Pflanzen.
Die Weinenden können die Welt verändern. Weil sie sich erlauben, aus dem Leiden an der Welt wahres Mitleid zu entwickeln. Das erlöst sie von ihrem eigenen Leid, weil sie sein dürfen, was sie sind: Menschen reinen Herzens, die sich nicht mehr zurückhalten und anpassen müssen. Sie sind in Resonanz mit der eigenen Existenz. Sie kommen zur Ruhe, sind nicht länger Getriebene der Unbarmherzigkeit.
Wir können das Leid der Welt nur dulden durch das Vertrauen, dass wir es durch unsere Milde abmildern können. Wir können das Leiden in der Welt nicht ändern, aber wir können ihm, wo immer wir ihm begegnen, menschliche Güte entgegensetzen. Auf Leiden mit Mitleid antworten.
So werden auch unsere Tränen zu Licht für diese Welt.
Wir leiden alle an der Welt. Deshalb braucht sich niemand das Weinen verbieten lassen.
Weinen ist nicht Schwäche, sondern Mut.
Und letztendlich erwacht aus den Tränen der Weinenden das Vertrauen in eine Güte, die alles verändern wird.