Brief 259 - Zum Gedenken an Etty Hillesum

Die 1914 geborene niederländische Jüdin Etty Hillesum empfindet sich trotz all ihrer Begabungen und einem großen Freundeskreis als unsichere und häufig depressive junge Frau. Therapie und Körperübungen, das Führen eines Tagebuches sowie Literatur (insbesondere Dostojewski, Rilke, Meister Eckart und C.G. Jung) setzt einen inneren Wachstumsprozess in Gang. In dessen Folge fühlt sich die noch junge Etty bald kraftvoller und lässt sich von dem, was sie zuvor lediglich rational zu analysieren versucht hat, emotional und spirituell berühren.

In ihren inneren „Seelenlandschaften“ wendet sie sich dem zu, was sie das „Allertiefste und Allerreichste“ nennt und dem sie schließlich den Namen Gott gibt. Mit ihm tritt sie in einen inneren Dialog ein, der sich auch in ihren Tagebüchern wiederfindet.

 

Als sich Ettys Lebensbedingungen im Sommer 1942 unter der deutschen Besatzung schnell und massiv verschlechtern, schildern ihre Tagebücher und Briefe eine bemerkenswerte menschliche und spirituelle Entwicklung unter den Bedingungen von Krieg und Verfolgung.

 

Etty hatte gerade in dieser Zeit ein offenes Ohr und Herz für die vielen Menschen, die angstvoll um ihr Leben bangten. So wird sie von ihren Wegbegleitern als bis zuletzt leuchtende Persönlichkeit beschrieben.

Ihre Tagebucheinträge sind Zeichen der Zuversicht, dass uns sogar in den dunkelsten Zeiten kraftvolle Worte der Hoffnung geschenkt werden können. Aus ihnen wird insbesondere deutlich, wie ein Mensch den Zusammenfall der Gegensätze (Brief 256) innerlich vollzieht und dadurch nicht in Feindbildern stecken bleibt:

 

„Das Leben und das Sterben, das Leid und die Freude, die Blasen an meinen wund gelaufenen Füßen und der Jasmin hinter dem Haus, die Verfolgungen, die zahllosen Grausamkeiten - all das ist in mir wie ein einzig starkes Ganzes, und ich beginne immer mehr zu begreifen, wie alles zusammenhängt, ohne es bislang jemandem erklären zu können. Ich möchte lange leben, um es später doch noch einmal erklären zu können, und wenn es mir nicht vergönnt ist, nun dann wird ein anderer mein Leben von dort an weiterleben, wo das meine unterbrochen wurde.“

 

Etty Hillesum kommt am 30. November 1943 mit 29 Jahren im KZ Auschwitz-Birkenau ums Leben. Auch ihre Eltern und ihre beiden Brüder überleben die nationalsozialistische Schreckensherrschaft nicht.

 

Wir können Etty Hillesums unterbrochenes Leben weiterleben.

Wenn sich in unserer Liebe alle Gegensätze zu dem von ihr beschriebenen starken Ganzen auflösen.