Was uns begegnet, nehmen wir durch die Sinne unseres Körpers wahr. Aber unsere Sinne vermitteln uns nur das Äußerliche, nur ein Abbild des darunter liegenden Geistigen.
Dieses Äußerliche ist niemals die Wahrheit. Das zeigt sich allein dadurch, dass es sich ständig verändert - genauso wie wir selbst ständiger Veränderung unterliegen.
Die Wahrheit der Dinge hält sich im Strom der Zeiten unvergänglich, sie besitzt Gültigkeit in sich.
Wie können wir uns dieser Wahrheit nähern?
Mit dem Höhlengleichnis, einem der bekanntesten Gleichnisse der antiken Philosophie, verdeutlicht Platon den Aufstieg von der sinnlich wahrnehmbaren Welt der vergänglichen Dinge in die geistige Welt der unwandelbaren Ideen. Dieser Prozess kommt für ihn einer Befreiung gleich.
Das Höhlengleichnis vergleicht uns mit Menschen, die ihr ganzes Leben als Gefangene in einer Höhle verbracht haben. Sie ahnen nicht, dass alles, was sie mit ihren Augen als Wirklichkeit betrachten, nichts weiter als Schatten sind, die durch das Licht von außen auf die Höhlenwand projiziert werden.
Um zu einer wahren Erkenntnis zu gelangen, müssten wir sie nach Draußen geleiten, damit sie das Licht wahrnehmen. Doch dabei würden ihre Augen schmerzhaft geblendet, so dass fast ein Gewaltakt dazu gehörte, die sich sehend Glaubenden zu Sehenden zu machen. So würden die Höhlenbewohner die nun in ihrem Blickfeld erscheinenden Dinge für unwirklich halten und hätten das Bedürfnis, zur „Wirklichkeit“ der Schatten auf der Wand zurückzukehren.
Wenn sie aber derart ans Licht geführt werden, dass ihre Augen sich daran gewöhnen können, dann sehen sie nicht nur schwarz und weiß - Schattenbilder im Übergang von hell und dunkel - dann sehen sie mit einmal die Buntheit der Farben, die wirkliche Welt.
Platon möchte uns - in Berufung auf Sokrates - lehren, unseren Sinneswahrnehmungen als möglichen Täuschungen auf den Grund zu gehen.
Wenn wir die sinnlichen Wahrnehmungen zurückführen auf den Gedanken, der ihnen geistig zugrunde liegt, treten wir aus der Höhle heraus ans Licht.
Wir müssen mit dem Herzen schauen, um zur Wahrheit zu finden.
Zur Wahrheit der unvergänglichen Einheit in der Vielfalt der vergänglichen Erscheinungen.
Nichtwissen schaut auf viele Teile in der Welt.
Weisheit sieht die Vielfalt als Teile innerhalb des Einen.
Platon (428/427-348/347 v. Chr., antiker griechischer Philosoph, Schüler des Sokrates)