Was bedeutet es für unser Streben nach der absoluten Wahrheit, wenn - wie im letzen Brief postuliert - gut und böse, richtig und falsch, rein menschliche Begriffe sind, die sich in der Dynamik der Schöpfung aufheben?
Giordano Bruno nähert sich dieser Frage durch einen Vergleich mit dem Aktaion-Mythos in den „Heroischen Leidenschaften“.
Nach seiner Interpretation verhält es sich mit dem nach Wahrheit Suchenden wie mit dem griechischen Jäger Aktaion. Dieser hatte auf der Jagd im Wald die nackte Göttin Diana beim Bad überrascht und wird daraufhin in einen Hirsch verwandelt, der von seinen eigenen Hunden gejagt und zerrissen wird. Diana gilt hier als Sinnbild für die Natur, deren Erkenntnis sich dem Menschen entziehen will.
Für Bruno bedeutet Erkennen, den Schleier der Verstellungen zu entfernen und die reine, die nackte Wahrheit erschauen.
Der Mythos der Diana besagt für ihn, dass wir weder die Wahrheit der Welt noch die Wahrheit Gottes in ihrer unendlichen Größe erkennen können.
Erkennen bedeutet das Scheitern an der erkannten Wirklichkeit. Sie wird nie endgültig sein. Wir werden immer fähig bleiben müssen, aus Irrtum zu lernen.
Bruno folgert, dass es weder eine Festlegung von Gut und Böse noch die moralische Festschreibung eines Menschen für Himmel und Hölle geben kann.
Was es über unseren Tod hinaus gibt, ist eine Fortentwicklung, ein ständiges Reifen.
Was machen wir nun mit unserem Drang, die Wahrheit erkennen zu wollen?
Eine mögliche Antwort ist: Lieben! Denn wir Menschen wollen grundsätzlich sowieso nur erkennen, was wir bereits lieben. So lernen wir durch unser Lieben, das, was wir lieben, immer noch mehr zu lieben. Wir erkennen seine Wahrheit, seine Schönheit, und sie rückt uns in unserer Seele immer näher.
Wir wollen erkennen, weil wir lieben, wir lieben, weil wir erkennen.
Was aber, wenn uns dabei ein Stück weit die Augen aufgehen für Gottes wirkliche Größe, für die Unendlichkeit seiner Liebe?
Dann würden wir anfangen, uns alle miteinander als Geschwister zu erkennen, und aus unserer Erkenntnis würde eine Liebe ohne Grenzen erwachsen.
Das wäre dann der Himmel.