Vor zwei Tagen erreichte mich ganz unerwartet eine Anfrage aus Gran Canaria. So weit werden meine Briefe tatsächlich weitergeleitet! Nicht nur darüber habe ich mich gefreut, sondern auch über die lohnenswerte Inspiration. Es wurde um eine Auslegung des Zitates „machet euch die Erde untertan“ und wie wir Menschen dies umgesetzt haben, gebeten.
Die Frage bezieht sich auf das „Dominum Terrae“, lateinisch für „Herrschaft über die Erde“. Es handelt sich um ein bedeutendes Motiv aus dem Alten Testament, nämlich den Auftrag des Schöpfers an den Menschen, „Seid fruchtbar und mehret euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“
Mich hat dieses Zitat bislang eher irritiert, so dass ich einen Bogen darum gemacht habe. Das hängt wohl vor allem damit zusammen, dass mich der Umgang vieler Menschen mit unserer Erde einfach fassungslos macht! Unsere grenzenlose Konsumsucht führt zur Ausbeutung von Rohstoffen, zur Erwärmung des Klimas und unwiderruflicher Zerstörung der Schöpfung. Tiere und Menschen werden für den schnellen Profit versklavt. Vielen scheint jegliches Gefühl für ihre Abhängigkeit von einer intakten Umwelt völlig abhanden gekommen zu sein. Es ist wohl mein Entsetzen über diese Entwicklung, das mit dazu beigetragen hat, meine Pilgertouren unter das Motto „Einssein mit der Schöpfung“ zu stellen.
Doch nun gilt es, dieses irritierende Zitat genauer unter die Lupe zu nehmen. Und wie so oft bei testamentarischen Texten geht es auch hier zuerst um die Frage, wie angemessen die Übersetzungen sind.
Die Exegese, die Auslegung von Texten des Alten und Neuen Testaments für die Glaubenspraxis, findet erst in den letzten Jahren angemessenere Übersetzungen. Das hebräische Verb kabasch (bisher übersetzt als „untertan machen“) hat auch die Bedeutung „als Kulturland in Besitz nehmen“, „dienstbar, urbar machen“, wie Vergleiche mit Verbübersetzungen in anderen biblischen Büchern zeigen. Das Verb radah (bisher übersetzt als „königlich bzw. herrschaftlich auftreten“) wird in Mari-Texten für den Umgang eines Hirten mit seiner Herde verwendet und soll das verantwortungsvolle, fürsorgliche Handeln zum Ausdruck bringen.
Auch eine im 20. Jahrhundert verstärkt auftretende Deutung versteht den Herrschaftsauftrag eher im Sinne einer treuhänderischen, gleichsam hütenden Aufgabe.
Mit dieser Deutung kann ich mich gut anfreunden. Ich möchte aber noch einen Schritt weiter gehen und den Begriff der „Herrschaft“ unter dem Aspekt „Beherrschung“ betrachten. Damit meine nicht die machtgierige Beherrschung der Erde, sondern die Disziplin meiner selbst, um mich von den Erscheinungen der Welt nicht vereinnahmen zu lassen und mich darin zu verlieren. Ich „beherrsche“ mich selbst und erlange dadurch „Herrschaft“ über das Weltgeschehen.
Wie kann das gelingen?
Nach meinem Dafürhalten liegt ein entscheidender Schritt darin, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass es eine objektive Welt gäbe. Der französische Atomphysiker und Philosoph Jean Émile Charon, der sich in der Nachfolge Einsteins mit der Vereinheitlichung der wesentlichen physikalischen Theorien beschäftigte, drückte es so aus: "Es gibt keine objektive Welt, die Welt vielmehr ist das, was wir von ihr denken."
Was denkst Du über die Welt?
Das, was sie für Dich ist!
Das ist Deine wahrhaftige Macht!
Hermann Hesse drücke es in seinem Roman „Siddhartha“ so aus:
„Ich habe einen Gedanken gefunden, Govinda, den du wieder für Scherz oder für Narrheit halten wirst, der aber mein bester Gedanke ist. Er heißt: Von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr!“