Brief 35 - Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug

Ich hoffe, mein Wunsch aus dem letzten Brief ist in Erfüllung gegangen und Du hattest trotz - oder wegen - der sommerlichen Temperaturen ein paar leichte und einfache Stunden.

 

Um die Leichtigkeit und Einfachheit des Seins ging es auch bei meinen Pilgertouren in der Lüneburger Heide am Freitag und Samstag. Was trägt dich, damit es leicht wird, war eine der Fragen, die wir uns gestellt haben. Ist es der schöne Weg oder die blühende Heide, sind es die schmackhaften Blaubeeren im Wald oder die nette Gruppe?

 

Von der deutschen Schriftstellerin Hilde Domin, sie lebte von 1909-2006 und war jüdischen Glaubens, stammt dieser bemerkenswerte Satz:

 

Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug.

 

Klingt leicht und einfach. Ganz so leicht erging es mir nicht, als ich vor Jahren Paragliding, das Fliegen mit dem Gleitschirm, erlernte. Zumindest habe ich es mir nicht so leicht gemacht. Etwas Entscheidendes fehlte anfangs, etwas, das sich erst langsam etablieren musste: Das Vertrauen!

Das Vertrauen, dass die Luft mich trägt.

 

Vertrauen hilft nicht nur beim Abflug vom Startplatz am Berg. Vertrauen brauchst Du auch, wenn ein Berg, auch wenn es nur ein gefühlter ist, vor Dir liegt. Wenn eine Herausforderung, welcher Art auch immer, leicht und einfach gelingen soll.

 

Natürlich ist auch etwas gelernt, geübt und verinnerlicht zu haben wichtig, um Vertrauen zu etablieren. Gerade dann, wenn Du Dich mit einem Gleitschirm in die Lüfte schwingen möchtest.

 

Nun waren dieses Wochenende in beiden Gruppen mehrere Pilger, die gerade in einer Phase des Umbruchs, der Wandlung sind. Die das Gelernte und über Jahre oder Jahrzehnte Geübte hinter sich lassen möchten. Menschen, die aufbrechen möchten, um neue Lebenserfahrungen zu suchen. Menschen, die etwas, das nicht mehr zu ihnen passt, abstreifen möchten.

Dann brauchst Du wirklich Vertrauen.

Aber woher kann es kommen?

 

Für mich liegt die Antwort im  Motto all meiner Pilgertouren: Unserem Einssein mit der Schöpfung. Und das ist für mich keine leere Worthülse. Es ist ein Bewusstsein, welches auf eigenen Erfahrungen beruht. Auf Erfahrungen draußen in der Natur, aber auch mitten im Leben.

Mein Leben hat sich in den vergangenen zehn Jahren auch gewandelt. Und das sogar ziemlich grundlegend. Ich habe es nicht geplant, aber ich bin einem Ruf nach etwas Neuem, der in mir immer lauter wurde, gefolgt. Die Veränderung kam Schritt für Schritt. Nicht geplant, sondern immer der Neugier und der Freude folgend. So war es leicht und einfach. Ich fühlte mich getragen. Und immer, wenn ein Schritt getan war, ergab sich der nächste.

Irgendwann wurde mir klar, dass allein durch meinen Verstand diese Entwicklung so niemals möglich gewesen wäre. Das Leben schöpft aus anderen Quellen!

 

Hermann Hesse hat wohl ähnliches erfahren, als er schrieb:

 

In sich innen trug man alles, worauf es ankam, von außen konnte niemand einem helfen.

Mit sich selbst nicht im Krieg liegen, mit sich selbst in Liebe und Vertrauen leben - dann konnte man alles.

Dann konnte man nicht nur Seiltanzen, dann konnte man Fliegen.

 

Ob Du nun Fliegen, Seiltanzen oder einfach Dein Leben verwandeln möchtest: Ich wünsche Dir Vertrauen in Deine Quelle, die universelle Schöpferkraft, damit es Dir mit Leichtigkeit und Einfachheit gelingt.

 

Das Bild von mir entstand in den Dolomiten.