Es sollte ein Weckruf gegen das Schubladendenken sein. Gegen das schnelle Abstempeln und (Ver)Urteilen. Ein Plädoyer für das Zuhören, das Verständnis und das gelebte Miteinander.
Der letzte Brief hat zwei besonders überraschende Rückmeldungen ausgelöst. Zum einen hat jemand in einer alten Schublade ebenfalls die Unterlagen zur Führerschein-Prüfung wiederentdeckt und auch gleich ein Beweisfoto zugeschickt.
Zum anderen gab es eine Botschaft vom Papst. Na ja, auf dem Umweg der Leserschaft meiner Briefe…
Inspiriert vom Gedanken, der Polarisierung und Spaltung etwas entgegenzusetzen, bekam ich ein paar Auszüge der neuen Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus zugeschickt. Der Titel geht auf ein Zitat von Franz von Assisi zurück.
Papst Franziskus bezeichnet seine dritte Enzyklika als „Sozialenzyklika“. Sie ruft zu mehr Brüderlichkeit und Solidarität auf und ist ein Plädoyer gegen Kriege. Der Papst fordert alle Menschen guten Willens auf, umzudenken. Und eben nicht in Schubladen zu stecken…
Die zentrale Aussage ist der Wunsch, dass unser Planet allen Menschen Land, Heimat und Arbeit biete.
Genauso wie mein Bekannter zähle auch ich mich nicht unbedingt zu den Anhängern des Papstes. Aber die durch ihn ausgewählten Textauszüge passen so wunderbar zu dem, was ich mit meinem letzen Brief ausdrücken wollte, dass ich drei davon hier mit Dir teilen möchte:
15. Die beste Methode, zu herrschen und uneingeschränkt voranzuschreiten, besteht darin, Hoffnungslosigkeit auszusäen und ständiges Misstrauen zu wecken, selbst wenn sie sich mit der Verteidigung einiger Werte tarnt. Heute verwendet man in vielen Ländern den politischen Mechanismus des Aufstachelns, Verhärtens und Polarisierens. Auf verschiedene Art und Weise spricht man anderen das Recht auf Existenz und eigenes Denken ab. Zu diesem Zweck bedient man sich der Strategie des Lächerlich-Machens, des Schürens von Verdächtigungen ihnen gegenüber, des Einkreisens. Man nimmt ihre Sicht der Wahrheit und ihre Werte nicht an. Auf diese Weise verarmt die Gesellschaft und reduziert sich auf die Selbstherrlichkeit des Stärksten. Die Politik ist daher nicht mehr eine gesunde Diskussion über langfristige Vorhaben für die Entwicklung aller und zum Gemeinwohl, sondern bietet nur noch flüchtige Rezepte der Vermarktung, die in der Zerstörung des anderen ihr wirkungsvollstes Mittel finden. In diesem primitiven Spiel von Disqualifizierungen wird die Debatte so manipuliert, dass sie über das Niveau von Kontroverse und Konfrontation nicht hinauskommt.
203. Der echte Dialog innerhalb der Gesellschaft setzt die Fähigkeit voraus, den Standpunkt des anderen zu respektieren und zu akzeptieren, dass er möglicherweise gerechtfertigte Überzeugungen oder Interessen enthält. Schon von seinem personalen Sein her hat der andere etwas beizutragen, und es ist wünschenswert, dass er seine eigene Position vertieft und darlegt, damit die öffentliche Debatte noch umfassender wird. Sicher kommt es der Gesellschaft auf die eine oder andere Weise zugute, wenn eine Person oder eine Gruppe kohärent lebt, Werte und Überzeugungen fest vertritt und eine Meinung entwickelt. Dies geschieht aber nur in dem Maß, in dem eine solche Entwicklung im Dialog und in Offenheit gegenüber anderen stattfindet. Denn »in einem wahren Geist des Dialogs wächst die Fähigkeit, den Sinn dessen zu verstehen, was der andere sagt und tut, auch wenn man es nicht als eigene Überzeugung für sich selbst übernehmen kann. Auf diese Weise wird es möglich, aufrichtig zu sein und das, was wir glauben, nicht zu verbergen, dabei aber doch weiter im Gespräch zu bleiben, Berührungspunkte zu suchen und vor allem gemeinsam […] zu arbeiten und zu kämpfen«. Wenn die öffentliche Diskussion wirklich allen Raum gibt und Informationen nicht manipuliert oder verheimlicht, ist sie ein ständiger Ansporn zur besseren Wahrheitsfindung oder wenigstens zu ihrer besseren Vermittlung. Sie verhindert, dass die verschiedenen Bereiche in ihrer Sichtweise und in ihren begrenzten Interessen bequem und selbstgenügsam werden. Denken wir daran: »Unterschiede sind kreativ, sie erzeugen Spannungen und in der Auflösung einer Spannung liegt der Fortschritt der Menschheit«.
228. Der Weg zum Frieden bedeutet nicht, die Gesellschaft homogen zu machen, sondern zusammenzuarbeiten. Er kann viele in einer gemeinsamen Suche vereinen, von der alle profitieren. Zur Erreichung eines bestimmten gemeinsamen Ziels kann man verschiedene technische Vorschläge sowie unterschiedliche Erfahrungen beisteuern und so für das Gemeinwohl arbeiten. Man muss versuchen, die Probleme einer Gesellschaft klar zu erkennen, um zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Weisen gibt, Schwierigkeiten zu sehen und zu lösen. Der Weg zu einem besseren Zusammenleben schließt immer das Zugeständnis ein, dass der andere eine – zumindest teilweise – berechtigte Perspektive einbringen könnte, etwas, das neu bewertet werden kann, selbst wenn er einen Fehler gemacht oder falsch gehandelt hat. Denn »der andere darf niemals auf das reduziert werden, was er sagen oder machen konnte, sondern muss im Hinblick auf die Verheißung, die er in sich trägt, geachtet werden« - Verheißung, die immer einen Hoffnungsschimmer zurücklässt.
Danke, Franziskus!